Der „Bajazzo”-Automat

„Bajazzo" (verschiedene, ab ca. 1910)
„Bajazzo SG" (J&M, 1927)
„Bajazzo" (Schülke, 1927)

Der „Bajazzo“ war der bekannteste und beliebteste Automat im Vorkriegsdeutschland. Bis in die frühen 30er Jahre wurde er in verschiedensten Varianten von dutzenden Firmen in Deutschland, Frankreich und Großbritannien gebaut. Allein in Berlin waren im Jahr 1925 mehr als 10.000 Bajazzos in Kneipen, Restaurants, Hotels und Cafés aufgestellt(1).

Trotz seiner enormen Verbreitung und Bekanntheit liegt seine Entstehungsgeschichte zum größten Teil im Dunkeln. In diesem Artikel sollen die wenigen bekannten Fakten zusammengetragen werden.

Das „Pickwick"-Patent 1900

„Pickwick"-Automat um 1900 - Vorläufer des Bajazzo
„Pickwick" um 1900

Die Geschichte des Bajazzo beginnt mit einer englischen Patenteintragung von Henry John Gerard Pessers im Jahr 1900. Patentiert wird hier das Spielprinzip, einer durch ein Hindernisfeld fallenden Kugel, welche mit einem vom Spieler horizontal steuerbaren Behälter aufgefangen werden muss.

Neu ist hier vor allem die bewegliche Fangtasche, welche auch das Grundprinzip des Bajazzo ist. Dieser von Pessers erfundene Automat trägt den Namen „Pickwick“. Von ihm gab es verschiedene Varianten, bei welchen das Spielprinzip noch verfeinert wurde.

Link: Patent „Pickwick“ 1900

Die Leipziger Herbstmesse - 1907

Die erste bekannte Nennung des Bajazzo ist in einem Bericht über die Leipziger Herbstmesse 1907 zu finden. In einem Artikel, welcher in verschiedenen Zeitschriften veröffentlich wurde (z.B. „Zeitschrift für Instrumentenbau“, „Deutsche Instrumentenbau-Zeitung“) wurde über die Messeneuheiten geschrieben. Der Bajazzo war auf dem Stand des Großhändlers „Ernst Holzweissig Nachf.“ aus Leipzig ausgestellt, leider ohne Angaben des Produzenten.
Es ist möglich, dass die ersten Geräte in England gefertigt wurden, denn das Pickwick-Patent ging an Pessers neue Firma P.M.W.G. (Pessers, Moody, Wraith & Gurr Ltd. London) über.  Das ist bisher aber nur Spekulation und lässt sich noch nicht belegen.

Die ersten Deutschen Bajazzo-Geräte - 1910

Kürzlich entdeckte Unterlagen geben Aufschluss darüber, wer in Deutschland mit dem Bau der Geräte angefangen hat:

In alten Akten(2) des Polizeipräsidiums in Leipzig zum Thema „Verbot der Glücksspiele“ wurden auch die Bajazzo-Geräte gründlich untersucht. Dabei musste u.a. Max Jentzsch höchstpersönlich auf der Polizei-Dienststelle aussagen. Durch seine Aussage, welche im Wortlaut in einem Protokoll zu finden ist, lässt sich Folgendes feststellen:

Der Bajazzo wurde ab 1910 von Reinhard Hoffmann vor allem für das Ausland gebaut. Erst nach dem Kauf der Fabrik durch Max Jentzsch (siehe Firmengeschichte), wurde der Bajazzo durch die Firma „Jentzsch & Meerz“  produziert. Außerdem fertigten in dieser Zeit auch mindestens zwei weitere Firmen den Bajazzo an: „Gustav Arndt Automatenfabrik“ und die Firma von Richard Polter.

Ausschnitt der Aussage von Max Jentzsch
Abbildung: Ausschnitt der Aussage von Max Jentzsch

„Vor etwa 3 Jahren (1911) kaufte ich dem obengenannten Hoffmann die Fabrik ab und fertige seit dieser Zeit, wie schon Hoffmann vorher, den Automat „Bajazzo” an. Ich liefere nur an Händler ..."

Ausschnitt der Aussage von Reinhard Hoffmann
Abbildung: Ausschnitt der Aussage von Reinhard Hoffmann

„Ich habe in den Jahren 1910 und 1911 den Automat „Bajazzo” angefertigt und in der Hauptsache nach dem Ausland geliefert. 1911 verkaufte ich meine Fabrik an den zuvor erwähnten Jentzsch. ..."

Die ersten „Jentzsch & Meerz"-Bajazzos - 1911

Die erste Nennung der Bajazzo-Spielautomaten in Zusammenhang mit „Jentzsch & Meerz“ in der Fachpresse konnte in der „Leipziger Uhrmacher-Zeitung“ (Jahrband 1912) gefunden werden. Dort wird in der Rubrik „Briefkasten“ eine Leseranfrage zum Hersteller zweier Automaten beantwortet:

„Die Automaten „Hansa" und „Bajazzo" werden von der Firma Max Jentzsch & Meerz in Leipzig fabriziert."

Diese ersten Bajazzo-Automaten waren relativ klein und kompakt und ähnelten damit größenmäßig den anderen damals produzierten Spielautomaten. „Jentzsch & Meerz“ baute die ersten Bajazzos sowohl mit Geld-, als auch mit Gewinnmarken-Auszahlung. Eine nicht unerhebliche Menge wurde ins Ausland exportiert, unter dem Namen „Le Clown“ für den französischen und „The Clown“ für den englischen Markt.

Die Funktionsweise ist simpel und bei nahezu allen Bajazzo-Modellen gleich: Nach dem Geldeinwurf wird die Spielkugel mit einem Drehknopf nach oben befördert, worauf sie in das Spielfeld gelangt.  Die Kugel durchquert nun ein Hindernisfeld aus Metallstiften und muss vom Spieler mit dem Fanghut des horizontal beweglichen Clowns aufgefangen werden. Wenn dies gelingt, zahlt der Automat einen Gewinn aus.

Diese ersten Bajazzos scheinen in einer sehr großen Anzahl produziert worden zu sein. Bis zum heutigen Tage haben viele dieser Automaten überlebt und sind regelmäßig auf diversen Verkaufsplattformen zu finden. Die große Verbreitung rückte die Automaten damals natürlich auch ins Fadenkreuz der Justiz. Dutzende Bajazzo-Prozesse sollten die Frage klären, ob es sich bei dem Automaten um ein Geschicklichkeits- oder Glücksspiel handelt. Zu einem einheitlichen Ergebnis ist man nicht gekommen und so herrschte ein großes Durcheinander und eine erhebliche Unsicherheit bei der Frage, ob der Bajazzo als legaler Spielautomat anzusehen ist.  

60_Bajazzo_1910
Bajazzo ca. 1910-1920

Der Bajazzo vor Gericht - 1914

 Im Jahr 1914 gab es eine regelrechte Welle von Prozessen rund um den Bajazzo, nachdem er in den Jahren zuvor von vielen Gerichten als Geschicklichkeitsspiel eingestuft worden war(3). Diese „Bajazzo-Schwemme“ versuchte man nun mit neuen Urteilen einzudämmen. Doch auch die neuen Urteile waren oft gegensätzlich.
Am 13. Juli 1914 und am 13. Oktober 1917 bescheinigten Urteile des Reichsgerichts dem Bajazzo die Eigenschaft, ein Geschicklichkeitsautomat zu sein. Diese Urteile hatten Folgen bis in die späten 20er-Jahre hinein. Immer wieder beriefen sich Produzenten und Aufsteller darauf. Auf vielen Spielanleitungen der Automaten stand zu lesen:  „Der Bajazzo-Automat ist durch Reichsgerichtsurteil vom 13.7.14 als Geschicklichkeitsspiel anerkannt und zugelassen.“.

Die Reichsgerichtsurteile wurden aber von vielen Polizeibehörden nicht anerkannt. Die Unsicherheit der Aufsteller blieb also aufgrund der teils völlig willkürlichen Urteile weiterhin bestehen.

Da jedoch ab 1909/1910 nahezu alle anderen Systeme als Glücksspiel verboten worden waren, war der Bajazzo als fast einziger teilweise erlaubter Geldspielautomat sehr verbreitet.

Kriegsjahre und Inflation - 1914 bis 1923

Trotz des beginnenden Krieges, verbreiteten sich die Bajazzo-Automaten in den Gaststuben und Wirtshäusern in den Jahren 1914 und 1915 sehr stark(5). Vor allem Kinder und Jugendliche verspielten an den Geräten ihr Geld. Am 18. September 1919 hat deshalb die Polizeidirektion Dresden zusammen mit dem Rat der Stadt durch polizeiliche Bekanntmachung die Benutzung von öffentlichen Automaten durch jugendliche Personen und Kinder verboten(5).

Trotz des Verbotes trieb es viele Minderjährige immer wieder in die Automaten-Spielhallen, wie folgendes Bild aus der Zeitschrift „Die Woche“ (Nr. 39, 1919) eindrucksvoll beweist:

Spielhalle in Berlin um 1919
Spielhalle in Berlin um 1919

Bis zur beginnenden Inflation Anfang der 20er Jahre war der Bajazzo der am meisten aufgestellte Automat in den Deutschen Gastwirtschaften. Spätestens ab 1922 verschwanden die Geräte dann vorläufig, aufgrund des Wertverlustes des Münzgeldes.

Die Berliner Bajazzos - 1925 bis 1927

Während die meisten Bajazzos vor dem Ersten Weltkrieg wahrscheinlich in Leipzig gebaut worden sind, stieg Mitte der 20er-Jahre Berlin zu Deutschlands „Bajazzo-Schmiede“ auf. Bis zu 20 Fabriken(6) bauten in der Hauptstadt Bajazzos. Die neuen Modelle waren in der Regel größer und einfacher gebaut. Die meisten Geräte verzichteten auf den beweglichen Ball unter dem Clown und hatten im unteren Teil des Spielfeldes als besonderen Spielanreiz eine sichtbare Auszahlung.

Auswahl verschiedener Berliner Bajazzos 1925-1927 (weitere Modelle in der Automaten-Datenbank)

Zu den bekannten Zwei-Hand-Bajazzos kamen neue Versionen hinzu, deren Mechanik man komplett über einen einzigen Drehknauf steuern konnte. In den Berliner Kneipen wuchs die Zahl der aufgestellten Geräte stetig an. Wurden, wie eingangs bereits erwähnt, 1925 noch ca. 10.000 aufgestellte Bajazzos in Berlin gezählt(1), dürften es um 1927 noch deutlich mehr gewesen sein.

„Jentzsch & Meerz" Bajazzo SG und LM - 1927

Bajazzo_Jentzsch_und_Meerz_6
Werbezettel Bajazzo SG, „Jentzsch & Meerz"

Auch in Leipzig wurden neue Bajazzo-Modelle entwickelt. So spendierte „Jentzsch & Meerz“ seinen Bajazzos ebenfalls eine sichtbare Geld-Auszahlung und brachte die neuen Apparate unter den Bezeichnungen „Bajazzo SG“ und „Bajazzo LM“ um 1926-1927 auf den Markt.

Beide Modelle unterschieden sich nur durch die Höhe der Auszahlbeträge und damit die Größe des Auszahlrades bzw. Gehäuses.

Den für „Jentzsch & Meerz“ typischen Ball unter dem Clown behielt man bei. Die Technik im Inneren der Automaten unterschied sich teilweise recht deutlich von den meisten Berliner Modellen und machte einen höherwertigen Eindruck.

Ob sich die neuen Modelle gegenüber den Konkurrenzgeräten aus Berlin durchsetzen konnten, ist nicht bekannt, da keine Verkaufszahlen hierzu vorliegen. Beide Modelle (SG und LM) waren jedoch die letzten Bajazzo-Geräte, die von „Jentzsch & Meerz“ gebaut worden waren.

Neue Verbote und Umbauten - 1927 bis 1930

In den Jahren 1925-1927 wurden Bajazzos in sehr hohen Stückzahlen produziert und aufgestellt. Den Ordnungsbehörden war dieser Zustand ein Dorn im Auge und man versuchte mit allen Mitteln ein Verbot des Bajazzos herbeizuführen. Es kam zu zahlreichen Prozessen. Wie der Reichsverband deutscher Automaten-Interessenten Leipzig allerdings mitteilte, wurde in keinem einzigen Fall der Angeklagte rechtskräftig verurteilt(8):

„... Seit einiger Zeit ist von den örtlichen Polizeibehörden ein regelrechter Feldzug gegen die Automatenbesitzer eröffnet, mit dem Endziel, diese Automaten zu Glücksspielen zu stempeln, sie zu verbieten und diesen Industriezweig lahmzulegen. Es werden Automaten beschlagnahmt, verboten, genehmigt und wieder verboten und die Besitzer wegen verbotenen Glücksspieles unter Anklage gestellt. Also, ein tolles Durcheinander. Nach den zahlreichen, uns in Abschrift vorliegenden Gerichtsurteilen wurden die angeklagten Automatenbesitzer stets freigesprochen. Es ist uns nicht ein einziger Fall bekannt, daß ein Angeklagter verurteilt worden wäre ..."

Am 12. Mai 1927 fand in Mannheim der sogenannte „Große Bajazzo-Prozess“ statt. Hierbei bewirkte u.a. der Reichsverband deutscher Automaten-Interessenten Leipzig vor der letzten Instanz des Oberlandesgerichts in Karlsruhe einen Freispruch des angeklagten Aufstellers. Der Automat wurde vom Gericht als Geschicklichkeitsspiel bestätigt(7). Doch auch dieses höchstrichterliche Urteil sorgte nicht für Ruhe. Zahlreiche Behörden gaben neue Gutachten in Auftrag, welche wiederum Glücksspiel unterstellten.

Die sich immer schneller drehende Spirale von Genehmigungen und Verboten des Bajazzos  führte dazu, dass immer mehr Automaten in andere Spielsysteme umgebaut wurden. Solche Automaten sind z.B. die „Atlantic-Flieger“ oder Kugelbalancierer, welche zunächst als Geschicklichkeits-Spiele anerkannt waren.

Späte Verwandte - 1935/1955

Das Spielprinzip des Bajazzo wurde in späteren Automaten der 30er-Jahre nochmals aufgegriffen, so auch beim „IMO-Sport“ (1935) der Firma „Jentzsch & Meerz“. Ganz im Geiste der Zeit musste man die von einem Flugzeug abgeworfene Kugel mit einem Panzer auffangen. Die unbeschwerte Fröhlichkeit des Bajazzo-Clowns war erstmal vorbei. (Informationen zum „IMO-Sport“ finden Sie hier).

Nach dem zweiten Weltkrieg erlebte der Bajazzo noch einmal eine kurze „Wiedergeburt“. Mit dem „O-Bajazzo“ versuchte die Automatenfirma „Bruno Höhne“ 1955 an alte Erfolge anzuknüpfen. Aufgrund neuer gesetzlicher Regelungen zum Betrieb und Aufstellung von Geldspielautomaten, erhielt man hier für einen Groschen gleich vier Kugeln zum Spielen. Damit war die gesetzlich vorgeschriebene Mindest-Spieldauer von 15 Sekunden pro Spiel gewährleistet.

Im Vergleich zu den neuen elektrischen Spielautomaten wirkte der rein mechanische Automat allerdings etwas antiquiert.

„O-Bajazzo" um 1955
„O-Bajazzo" um 1955

1  Kalgoorli Miner, 29. Dezember 1925, S.1, „Gambling Craze in Berlin – A Fool’s Game“

2  Sächsisches Staatsarchiv, Hauptstaatsarchiv Leipzig, 20031 Polizeipräsidium Leipzig, Nr. PP-V 4018

3  Sächsisches Staatsarchiv, Hauptstaatsarchiv Leipzig, 20031 Polizeipräsidium Leipzig, Nr. PP-V 4018, Brief des Polizeipräsidenten von Posen an die Leipziger Kriminalpolizei vom 30.12.1913

4  Sächsisches Staatsarchiv, Hauptstaatsarchiv Leipzig, 20031 Polizeipräsidium Leipzig, Nr. PP-V 4018, Brief des Landeskriminalamt Dresden über „die Behandlung von Glücksspielen“

5  Sächsisches Staatsarchiv, Hauptstaatsarchiv Leipzig, 20031 Polizeipräsidium Leipzig, Nr. PP-V 4018, Abschrift, Brief des Landeskriminalamt Dresden über „die Behandlung von Glücksspielen“ vom 26. Februar 1926

6  Sächsisches Staatsarchiv, Hauptstaatsarchiv Leipzig, 20031 Polizeipräsidium Leipzig, Nr. PP-V 4018, Brief der Automaten-Firma „Eterna G.m.b.H.“ Berlin an die Kriminalpolizei Berlin vom 12. Mai 1926

7  Sächsisches Staatsarchiv, Hauptstaatsarchiv Leipzig, 20031 Polizeipräsidium Leipzig, Nr. PP-V 4018, Brief des Reichsverbandes deutscher Automaten-Interessenten Leipzig an die Kriminalpolizei Leipzig vom 23. Mai 1927

8  Sächsisches Staatsarchiv, Hauptstaatsarchiv Leipzig, 20031 Polizeipräsidium Leipzig, Nr. PP-V 4018, Brief des Reichsverbandes deutscher Automaten-Interessenten Leipzig an den Innenminister, 26. Juli 1926

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